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Veränderung der Meinung

Ein gutes literarisches Tool besteht darin, die einmal vorgefaßte Meinung immer wieder zu verändern. Durch das Tool kann der epische Springer gewissermaßen über Nacht zum Bauern werden, der literarische Turm zum Läufer usf.

Wolf Martin, der gottbegnadete Lyriker der Kronenzeitung, wird oft nicht gerade als Jahrhundert-Lyriker hingestellt. Manche Leser geben offen zu, das "Gedicht zum Tag" schon einmal überblättert zu haben. Am 1. Mai 2001 jedoch, an jenem merkwürdigen Tag, an dem der Staberl seine Glosse gegen eine immerwährende Luftmatratze am Wörthersee eintauschte, lief Wolf Martin zur Höchstform auf. Allein wegen dieses Gedichtes verdient es Wolf Martin, daß man als Leser seine Meinung überdenkt und ihm ein großes Hallelujah zuruft. Dieses Gedicht wird ein paar Jahre halten!

In den Wind gereimt

Wie ich grad hör, kommt jetzt in Schwung

die ORF-Verschüsselung.

Um sechs Uhr gibt’s, als Muntermacher,

ein Referat von Gerhard Bacher.

Halb sieben: Pressefrühstücksei,

der Bundeskanzler schimpft dabei.

Um sieben gibt’s die Morgenpredigt,

vom Kanzler wird auch dies erledigt.

Um 8 Uhr ist Gymnastikstunde,

wir drehn mit Wolferl eine Runde.

Um 9 Uhr singt zur Zither dann

der ÖVP-Parteiobmann.

Um 10 Uhr: Weisen aus Tirol,

es moderiert Andreas Khol.

Um 11 Uhr: der Report aus Brüssel

ein Interview mit Dr. Schüssel.

Von zwölf bis eins wird informiert,

wie prächtig Schwarz mit Blau regiert.

Danach: Programm der ÖVP.

Um zwei: "Der Schatz im Silbersee".

Zur Jause spielt, von drei bis vier,

Wolf Schüssel Boogie am Klavier.

Danach: mit Wolfi zeichnen lernen.

Um fünf: die SPÖ entfernen.

Ein Fußball-Match wird übertragen

von sechs bis acht an allen Tagen.

Gewinner: Wolfgang und sein Team.

Um 8 Uhr: Schüssel ganz intim.

Bis 0 Uhr: Showtime, irre cool,

Devise: "Black is beautiful".

Und drauf, als Straßenfeger, zeigen

sie Wolfgang Schüssels großes Schweigen.

Wolf Martin