Verdeckte Ermittlung
Wenn man einen Autor sucht, der das Beobachtungs- und Beschreibungskonzept Robert Musils weiterentwickelt und für die Medien der Gegenwart nachjustiert hat, so wird man auf Alexander Kluge stoßen. Sein aktuelles Hauptwerk "Chronik der Gefühle" nimmt es auch vom Umfang her mit dem "Mann ohne Eigenschaften" auf, und immer wieder repliziert Alexander Kluge auch auf Robert Musil. Gleichsam als Einstimmung zur "Chronik der Gefühle" gibt es ein Gespräch mit Alexander Kluge, "Verdeckte Ermittlung". Darin erzählt der Autor in der Hauptsache von seinem Umgang mit Texten. Die Fragen nach ihrer Enstehung, der Auffindung des Stoffes und die Sinnhaftigkeit verschiedener Kriterien stehen im Mittelpunkt. Alles kann von Bedeutung sein, etwa daß Alexander Kluge immer mit einem weichen Bleistift schreibt, weil dies die richtige Entladung der Gedanken fördert, oder daß die Einteilung des Werks in Hefte, Cahiers, die zeitbiologisch günstigste ist. Weltberühmt ist der Autor für das Aufsuchen von sogenannten Fallbeispielen, hiefür verwendet er oft normales Journalisten-Material, fügt ihm aber durch eine gewisse Drehung einen neuen Informations-Drall zu und erreicht somit eine neue, dynamische Aussage. Anläßlich einer Musil-Verfilmung besteht ein fiktionaler Produzent darauf, den Titel zu verändern, aus dem Mann ohne Eigenschaften wird schließlich der Mann, und letztlich gar nichts. Die Reduktion des Titels löst eine Reduktion des Projektes aus. Alexander Kluge ist wahrscheinlich der beste Mediendidaktiker des Kontinents. Seine Darstellungen beinhalten immer auch eine Reflexion des jeweiligen Mediums. Dabei gibt es letztlich nur eine Regel, immer die Sinnesorgane wach zu halten, quasi eine andere Formulierung des Mottos von Robert Musil: Schreiben ist keine Tätigkeit sondern ein Zustand. Der sogenannte "kalte Blick" Alexander Kluges bewirkt im Leser, daß dieser seinerseits beinahe automatisch einen "Kluge-Blick" auf die Welt wirft.
Alexander Kluge: Verdeckte Ermittlung. Ein Gespräch mit Christian Schulte und Rainer Stollmann. Berlin: Merve Verl. 2001. 139 Seiten. 146,- ATS. € 10,61. ISBN 3-88396-168-X
Alexander Kluge, geb. 1932 in Halberstadt, drehte bislang 23 Kinofilme.
Helmuth Schönauer 15/07/01