Klausen

Knapp und kalk-kalt wie bei Thomas Bernhards Romanen geht es in Klausen zu. Klausen ist einerseits der Name einer unter die Autobahn hingequetschten Kleinstadt in Südtirol, andererseits auch der Zustand dieses sozialen Biotops, nämlich abgeschlossen, "verklausuliert". Die Klaustrophobie scheint geradezu ihren Hauptwohnsitz in Klausen zu haben.

In einem Wirtshaus sitzt ein Einheimischer und schaut zwei Touristen beim Essen vom Kalbskopf zu, bald einmal beginnt ein typisches Gasthausgespräch, das völlig außer Kontrolle gerät. Alle aufgeführten Figuren nämlich machen sich selbständig, zitierten einander direkt und indirekt, jeder könnte etwas so oder leicht anders gesagt haben, kurzum, der Leser sitzt im Innern einer brodelnden Gerüchteküche voller Anspielungen, Lügen und Halbwahrheiten.

Scheinbar ohne kausalen Zusammenhang werden die Vorteile der Lebenszyklentheorie in Konkordanz zu verwaltungstechnischen Fragen an einen Lehrstuhl in Bozen gebracht, jemand hat das Programm der Provinz begriffen und bringt es auf den Punkt: "arrangieren, das ist Demokratie" (37). Während sich die auf semi-offiziös getrimmten Stadtpolitiker mit einem Repräsentationsankauf einer Stadtansicht herumschlagen, kümmern sich aufsässige Bewohner um die technische Durchführung von Lärmmessungen. Manche sind so sensibel, daß ihnen sogar das Flüstern der Nachbarn auf die Nerven geht. Und ein sogenannter Macher wird zusammengeschlagen nach dem Motto: "Leute dieses Kalibers werden fertig gemacht" (129). Der Zusammengeschlagene beobachtet freilich aus der Froschperspektive das Geschehen und kommt zu ungeahnt einleuchtenden Erkenntnissen.

Als Leitmotiv zieht sich die besondere Lage Südtirols durch die Erlebnisschichten, Italiener und Deutsche rangeln um Kleinigkeiten, während sie sich im Aufbau einer Abwehrfront gegenüber frisch zugezogenen Ausländer aus der Dritten Welt ziemlich einig sind.

Wie schon in seinem ersten Roman "Wäldchestag" erzählt Andreas Maier in grandioser Weise vom perfekten Filz der Provinz. Die Sätze sind so ineinander verstrickt, daß man als Leser jeweils ganz andere Sinnbrocken in der Hand hält, als die Satzeingänge vermuten ließen. Außerdem ist der Roman absatzlos durcherzählt, Atemlosigkeit und Widerborstigkeit der Geschehnisse lösen einander im hektischen Rhythmus der Provinz ab. Die Figuren sind Flachatmer beim Erzählen und Flachdenker, was die Schärfe ihrer Gedankenprodukte betrifft. Klausen ist letztlich eine tragische Angelegenheit, aber mit viel Humor erzählt, so daß man den Wahnsinn von alpinen Bewohnern entlang der Autobahn als Leser schmunzelnd zur Kenntnis nimmt.

Andreas Maier: Klausen. Roman. Frankfurt/M: Suhrkamp 2002. 214 Seiten. 18 EUR. ISBN 3-518-41340-6

Andreas Maier, geb. 1967 in Bad Nauheim, lebt in Brixen.

Helmuth Schönauer 30/03/02