Die Flüchtige

Vor fünfzehn Jahren ist die reiche Fabrikstochter Sibylla Forsenström anläßlich einer Familienfeier abgehauen, mittlerweile ist sie zweiunddreißig und eine anerkannte Größe in der Stockholmer Obdachlosenwelt. Flucht ist der Hauptzustand Sibyllas, nicht nur, daß sie ständig vor den schlimmen Erinnerungen an ihr ehemaliges Dasein als Fabrikstochter flüchtet, zwischendurch flüchtet sie auch aus dem Milieu und gönnt sich unter falschem Namen einen Aufriß und eine saubere Nacht in einem Klassehotel. Doch in der letzte Nacht ist etwas schief gegangen, der letzte Bekannte ist ermordet worden und Sibylla wird wegen Mordes gesucht. Es kommt noch ärger, denn wieder ist jemand ermordet worden und abermals wird Sibylla verdächtigt, weil es für die Suche didaktisch besser ist, eine Serienkillerin zu suchen als Täterinnen für zwei Einzelfälle. Der Leser erlebt nun eine hektische Flucht zwischen den öffentlichen Räumen mit Überwachungskameras und Polizei und den Randzonen der Stadt, die allein schon wegen des Lichtmangels von den Kameras nicht berwacht werden können. Immer wieder verfällt Sibylla in Tagträume, die jeweils mit einem absurden Kindheitserlebnis enden. Letztlich wird Sibylla auf dem Dachboden einer Schule von einem fünfzehnjährigen Schüler entdeckt. Sie tritt die Flucht nach vorne an und recherchiert mit dem jugendlichen EDV-Spezialisten auf eigene Faust. Die Lösung ist wahrlich überraschend, kein Wunder, daß die Polizei für die Aufklärung zu blöd war, denn an einen fatalen Zusammenhang zwischen Geschäften, Liebe und Organspendern, hat niemand gedacht. Der Roman "die Flüchtige"ist nebenher eine beeindruckende Fallstudie vom Untergrund der Wohlstandsgesellschaft, die Schwarz-weiß-Inszenierungen sind genau richtig, denn es geht um die brutale Differenz zwischen Hell und Dunkel im sozialen Gefüge.

Karin Alvtegen: Die Flüchtige. Roman. A.d.Schwed. von Hedwig M. Binder. Reinbek: Wunderlich 2001. 268 Seiten. 278,- ATS. € 20,40. ISBN 3-8052-0698-4

Karin Alvtegen, geb. 1965, lebt in Stockholm und ist die Großnichte von Astrid Lindgren.

Helmuth Schönauer 02/04/01